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Waldbaden Training mit Ulli Felber

Shinrin Yoku

Das heilsame Luftbaden im Wald

Endlich habe ich es geschafft. Ich habe mir nichts vorgenommen. Die nächsten 90 Minuten gehören mir allein. Mit leeren Taschen stehe ich am Waldrand. Langsam betrete ich das ausgesuchte Waldstück. Die mächtigen Eichen strecken sich mir sanft entgegen. Der Waldboden dämpft meine Schritte. Das bereits gefallene Herbstlaub macht meine Bewegungen hörbar lebendig. Einem nach dem anderen rufe ich meine Sinne bewusst wach. Mein Herzschlag wird spürbar. Meine Wahrnehmung wächst. Die Geräusche werden intensiver. Der Duft des Waldes findet mit langsamen, tiefen Atemzügen in meinen Körper. Entspannung. Ich lege mich auf den Waldboden. Was ich von diesem Blickwinkel aus alles betrachten kann, macht mich ehrfürchtig. Selbst die Ameisentruppe, die mich zum Aufstehen drängt, betrachte ich mit Gelassenheit. Ein Lächeln breitet sich über mein Gesicht aus.

In Gedanken bin ich jetzt bei Ulli Felber. Vor Kurzem habe ich mich mit ihr über Waldbaden unterhalten. Sie hat Waldwelt – Institut für Waldbaden in Österreich aus der Taufe gehoben, bildet hier diplomierte Waldbadetrainer:innen aus, ist Autorin zweier inspirierender Bücher über das Waldbaden und begleitet eine medizinische Studie der Charité Berlin.

Ein letztes Mal lasse ich meine Augen über den Wald streifen. Schärfe meinen Blick in Richtung Himmel zu den Baumkronen. Betrachte den Waldboden, der meine Schuhe umgibt. Dann atme ich aus und widme mich wieder meinem Alltag. Ich fühle mich leicht. War das der Wald? Habe ich in der Waldluft gebadet?

Was ist Shinrin Yoku?

Der japanische Ausdruck Shinrin [Wald] Yoku [gut] bezeichnet das Aufsaugen der Waldatmosphäre. Hierzulande unter dem Begriff Waldbaden bekannt, erfreut sich diese Naturtherapie immer größerer Beliebtheit. Kein Wunder, sehnen wir uns im Strudel der Hektik nach einer inneren Stärke – körperlich wie geistig. Dies mit so einfachen Mitteln zu erreichen wie mit den paar Bäumen vor der Haustür, um es überspitzt darzustellen, ist für unsere Gesellschaft ein willkommener Segen.

Ein Schritt ins Grüne

Der Begriff Shinrin Yoku wurde 1982 im Rahmen einer Marketingkampagne des japanischen Landwirtschaftsministeriums geprägt. Die eigene Bevölkerung wurde dazu angeregt, mehr in die Natur zu gehen. Erste Feldstudien über den Zusammenhang zwischen Waldbaden und reduzierten Stresshormonen folgten 1990. Seither reiht sich Studie an Studie über die gesundheitlichen Einflüsse des Waldes auf den Menschen.

Klar ist, der Wald wirkt stressreduzierend und stimmungsaufhellend. Das passiert vor allem durch die intensive Kommunikation der Bäume, Pflanzen und so mancher Tiere. Sie unterhalten sich über Duftbotschaften. Laura von Witzenhausen, Waldführerin in Wohllebens Waldakademie, betrachtet die unendlich vielen Botschaften in der Waldluft als Duftvokabeln. Eine faszinierende Vorstellung.

Die sogenannten Phytonzide sind flüchtige organische Verbindungen, die als Schutzsystem wirken, um Bakterien, Pilze und Insekten abzuwehren. Auch wird den pflanzlichen Nachbarn mitgeteilt, wenn Gefahr droht. Diese fahren daraufhin ihr Immunsystem hoch. Für uns Menschen senken die eingeatmeten Phytonzide, wozu auch die Terpene zählen, den Blutdruck und lösen ein Gefühl der Ruhe aus. Sogenannte Killerzellen werden vermehrt produziert und sind wesentlich aktiver. Als unsere körpereigene Gesundheitspolizei wehren sie Krankheitserreger ab und stellen Anti-Krebsproteine her. Diese positiven Effekte halten nachweislich an. Bei zwei Tagen Waldbaden im Monat zehrt Körper und Geist einen Monat lang von der heilenden Wirkung.

“Ich glaube, dass der Wald jeden berührt.” Ulli Felber

Ein Institut für Waldbaden

Wie kam es zu deinem Institut für Waldbaden, wenn sich doch offensichtlich jeder einfach alleine in den Wald stellen kann, frage ich Ulli Felber. „Auf Shinrin Yoku bin ich durch meinen Mann gestoßen. Immer, wenn ich ihm von meinen Erlebnissen im Wald erzählt habe, wie ich mich fühle, hat er mich milde belächelt. Er hat geglaubt, das ist jetzt etwas Esoterisches. Er ist Naturwissenschaftler. Das hat mich ein bisschen geärgert. Ich dachte mir, das kann‘s nicht sein, da muss es etwas geben. Ich recherchierte und stieß auf Shinrin Yoku. Durch Zufall wurde ich gefragt, ob ich dazu einen Workshop geben kann. Dann ging alles schnell. Mein erstes Buch über Waldbaden entstand. Ich wurde gefragt, ob ich Ausbildungen für Waldbadentrainer:innen anbiete. Zuerst wollte ich nicht, da sich ja jeder in den Wald stellen kann.

Es ist auch nichts Neues. Die Nachfrage stieg weiter an, bis ich anfing, die Ausbildung zu konzipieren. Mir war wichtig, ein ganzes Paket mit viel Mehrwert anzubieten. So habe ich mir unter anderem Waldpädagog:innen ins Boot geholt. Die Ausbildung beinhaltet sowohl die Planung, Methodik, Forstrecht und die wissenschaftlichen Hintergründe. Mit einem Abschluss sollst du möglichst breit und verantwortungsbewusst aufgestellt sein.“

Weiter erfahre ich, dass die Ausbildung vor allem in der Tourismusbranche beliebt ist. Durch die Pandemie hat das Interesse einen immensen Schub in die breite Öffentlichkeit bekommen. Urlauber nehmen sich das Wissen aus den Waldbaden-Angeboten des Beherbergungsbetriebs mit und können dies ohne viel Tamtam zu Hause anwenden.

Gesund im System

Ich denke an unser Gesundheitssystem. Im Grunde wäre es ein Leichtes, das Waldbaden als Präventionsprogramm in Rehabilitation und Kuraufenthalte zu integrieren. Ulli erzählt mir, dass es das in manchen Gesundheitszentren bereits gibt. Ob dies von der Kasse in Zukunft verschrieben werden könnte, sieht sie realistisch: „Es wäre auf alle Fälle eine Möglichkeit. Dass es unkompliziert umgesetzt wird, bezweifle ich. Auf der einen Seite befindet sich ein Gesundheitsinstitut und auf der anderen ein Waldbesitzer. Das ist nicht automatisch das Gleiche. Dies ist sogar selten. Deutschland setzt bereits einige Schritte in diese Richtung. Die Studie der Charité Berlin* ist beispielsweise staatlich gefördert. Hier in Österreich gibt es im Gesundheitszentrum in Sankt Lambrecht bereits ein Waldbaden-Angebot. In Niederösterreich wird einiges entwickelt.

Ich weiß von vielen Dingen, die hier und da entstehen. Der große Vorteil in Österreich, fast jeder Ort liegt in der Nähe eines Waldstücks. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies in Verbindung mit den Waldbesitzern eine in allen Belangen gewinnbringende Kooperation werden kann. Der Veranstalter des Waldbadens übernimmt die Haftung, der Waldbesitzer nimmt etwas ein. Zumal braucht man zum Waldbaden keine Utensilien. Sprich, der Wald bleibt unverändert.“

Eine Anregung, die es hoffentlich in die Überlegungen unserer gesundheitlichen Zukunft schafft. Wie einfach könnte es sein. Doch zurück zum Waldbaden an sich. Wie sieht der ideale Wald dafür in der Praxis aus? „Es gibt Definitionen, wie ein Urwald aussieht, was ein Heilwald ist. Grundsätzlich sollte eine Abwesenheit von Lärm und Schmutz bestehen. Der Wald soll begehbar sein mit einer lockeren Standdichte sowie gut gepflegt. Letzteres ist ein Diskussionspunkt, da die moderne Waldwirtschaft dazu übergeht, den Wald naturbelassen zu bewirtschaften. Das heißt, auch wenn etwas gefällt wird, werden die Äste am Boden liegen gelassen. In den älteren Generationen ist Wald eher aufgeräumt. Es soll ein Mischwald sein, keine Monokultur.

Auch wenn Nadelholzplantagen möglicherweise mehr Terpene ausströmen als ein Mischwald, zählt in erster Linie das Wohlgefühl. Das tritt in einer dunklen Fichtenplantage meist nicht ein. Wenn das Wohlgefühl da ist, dann erst kann ich mich entspannen. Wenn ich mich entspannen kann, dann wird das Immunsystem aktiv. Das ist die Essenz von Waldbaden. Ein Erlebnis hatte ich erst kürzlich auf über 1000 Meter, wo vor allem Nadelbäume stehen. Wir waren in einem sehr berührenden Wald. Da gab es vor allem Tannen, was sehr selten ist. Der Bauer hat dort eine sehr achtsame Waldwirtschaft. Er schlägert nur im Winter mit seinen Freunden. Das ganz ohne schweres Gerät. Das ist genauso schön, wie wenn ich einen wunderschönen Laubwald oder Mischwald betrete. Es gibt so viele Varianten. Mir gefällt alles.“

Da gebe ich ihr Recht. Nach meinem Wohlgefühl muss ich nie lange suchen, wenn ich in den Wald gehe. Waldbaden ist kein üblicher Spaziergang oder gar eine Wanderung. Es ist das Dahinschlendern ohne Absicht. Das Treiben lassen im Walddunst. Tiefes Einatmen. Beobachten. Fühlen. Schmecken. Laura von Wohllebens Waldakademie schlägt vor, im Zuge eines Waldbads ein Laubblatt zu kosten. Ob dies wohl auch prompt an die Nachbarbäume per Eilboten-Duftstoff kommuniziert wird?

Mir gefällt diese Vorstellung. Es wird Zeit für das nächste Waldbad.

* Ulli Felber konzipiert und begleitet die Studie der Charité Berlin gemeinsam mit einer Kollegin: Effekte von Naturtherapie und Waldbaden bei Probanden mit kardiovaskulären Risikofaktoren – eine randomisiert kontrollierte Studie.

www.naturheilkunde.immanuel.de/forschung/aktuelle-studien/effekte-von-naturtherapie-und-waldbaden-bei-probanden-mit-kardiovaskulaeren-risikofaktoren/

Ulli Felber Porträt<br />

Ulli’s Tipps für ein ausgiebiges Waldbad

Tipp 1: Langsam in den Wald gehen. Nicht die übliche Runde. Auf unbekannten Wegen. Beachte, was es auf Augenhöhe in Bodennähe und in den Baumkronen zu sehen gibt.

Tipp 2: Meine liebste Übung ist, sich einfach auf den Waldboden hinzulegen. Das berührt jeden, der sich traut.

Ulli Felber ist gebürtige Grazerin, in erster Profession Werbetexterin und zudem viele Jahre als diplomierte Burnout-Prophylaxe- sowie und vor allem als Waldbaden-Trainerin tätig. Im Sommer 2021 hat Ulli ihre Ausbildung bei der International Nature and Forest Therapy Alliance (INFTA) abgeschlossen und ist damit die erste klinische Waldtherapeutin Österreichs.

Ullis Liebe zum Wald und zum Schreiben findest du gebündelt in ihren zwei Büchern mit dem Thema Waldbaden wieder.

www.waldwelt.at

Buchtipp Waldbaden im Jahreskreis von Ulli Felber

Fotos © Ulli Felber
Text © Anna Schumann
HÖRBAR gelesen von Heidi Klug

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Shinrin Yoku - Das heilsame Luftbaden

SAFTIG Podcast Cover Shinrin Yoku

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